Über mögliche Erfolgsstrategien für Arthouse- und Programmkinos in einem immer schwieriger werdenden Marktumfeld sprach Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino – Gilde deutscher Kunsttheater, am 5. November beim Film- und Kinokongress NRW in Köln.
Im Interview mit Kongressmoderatorin Ute Soldierer wies er einmal mehr auf das Überangebot an Filmen in den Kinos hin, unter denen auch etliche „Flops mit Ansage“ vertreten seien. Die Produzenten seien gefordert, hier gegenzusteuern und sich schon frühzeitig Gedanken darüber zu machen, wie ein Film vermarktet werden könne und ob er überhaupt das Potenzial für die große Leinwand besitze. Auch für die Förderer müsse die Stoffentwicklung eine noch größere Rolle spielen, befand Bräuer.
Angesichts der finanzstarken Konkurrenz durch Plattformen wie Netflix oder Amazon sei es für alle Marktteilnehmer wichtig, dass Filme produziert würden, die auch funktionieren. Das Kino dürfe gegenüber dem Angebot der Streamingdienste nicht zur Resterampe verkommen. Dafür seien nicht zuletzt starke Marken wichtig, wie es sie auch immer wieder im Arthouse-Bereich, zum Beispiel mit der „Dogma“-Bewegung aus Dänemark, gegeben habe.
Am Dienstag wird beim Film- und Kinokongress NRW in Köln über Zukunftsthemen der Kinobranche diskutiert. Als Redner tritt u.a. Thomas Negele, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des HDF Kino und neuer Präsident der SPIO, auf.
Zum neunten Mal findet morgen der Film- und Kinokongress NRW statt, der sich mit den aktuellen Herausforderungen für die Kinobranche befasst. In der Kölner Wolkenburg wird Gastgeberin Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, die den Kongress mit dem Creative Europe Desk NRW veranstaltet, zahlreiche Kinobetreiber, Produzenten, Filmpolitiker, Verleiher, Sender- und Verbandsvertreter begrüßen. In Vorträgen und Gesprächen geht es u.a. um die Zukunft des Kinos als Veranstaltungsort, das Verhältnis zu Streaming-Anbietern wie Netflix oder Amazon, dynamische Preismodelle und nachhaltige Filmproduktion. Zu den Referenten zählen die Vorstandsvorsitzende des HDF Kino, Christine Berg, der Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Thomas Negele, NFP-Verleihchef Christoph Ott und Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater. Im Anschluss steht im Gloria Theater die Verleihung des Kinoprogrammpreises NRW auf dem Programm. In diesem Rahmen geht zudem der Herbert-Strate-Preis für besondere Verdienste um den deutschen Film an Schauspiel-Legende Mario Adorf.
Seit 2004 verleihen die Film- und Medienstiftung NRW und der HDF KINO jährlich den Herbert Strate-Preis an Persönlichkeiten, die sich in besonderem Maße um den deutschen Film verdient gemacht haben.
Der diesjährige Preisträger, Schauspieler Mario Adorf, blickte in einem Gespräch zum Abschluss des Film- und Kinokongresses NRW am 5. November in Köln auf seine mehr als sechs Jahrzehnte umfassende Laufbahn zurück. In der unmittelbaren Nachkriegszeit sei es zunächst ein eher utopischer Berufswunsch gewesen, Schauspieler zu werden, berichtete der in der Eifel aufgewachsene Halbitaliener. Dennoch setzte er sein Vorhaben in die Tat um. In launigen Erzählungen erinnerte sich Adorf an sein eigentlich misslungenes Vorsprechen an der Otto-Falckenberg-Schule in München, wo er aber doch zur Schauspielausbildung zugelassen wurde, und an seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Siodmak. Nachdem dieser zunächst das verletzte Bein des Schauspielers verarztet hatte, verpflichtete er ihn für die Hauptrolle in „Nachts, wenn der Teufel kam“. Adorf räumte ein, dass er diesen Film heute mit gemischten Gefühlen betrachte. Viel später habe sich herausgestellt, dass der von ihm dargestellte, vermeintliche Serienmörder in Wahrheit wohl unschuldig war und vom NS-Regime gezielt für unaufgeklärte Morde verantwortlich gemacht wurde.
Der Schauspieler stellte in Aussicht, dass der Stoff noch einmal mit den neuen Erkenntnissen aufbereitet werden könnte. Auch auf seine internationalen Projekte mit Regisseuren wie Sam Peckinpah ging Adorf beim Kongress in Köln ein. Sein damaliger Agent habe sogar den Wunsch geäußert, dass sich der deutsche Schauspieler ganz in Hollywood niederlassen und als „Mexikaner“ vermarkten lassen sollte. Das sei für ihn jedoch nicht in Frage gekommen. Stattdessen feierte er in der Ära des Neuen Deutschen Films in den 70er Jahren bemerkenswerte Erfolge, u. a. in Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.
Die letztgenannte Böll-Verfilmung, entstanden während der aufgeheizten Debatten der RAF-Zeit, sei auch in politischer Hinsicht eine sehr interessante Produktion gewesen, befand Adorf. Er habe nie bereut, dass er an diesem Film mitgewirkt habe. Nach wie vor ist er für nationale Kino- und TV-Produktionen aktiv. Laut Adorf sei es aber bedauerlich, dass der deutsche Film aufgrund der Sprache nur wenig Beachtung auf dem internationalen Markt fände – abgesehen von einzelnen großen Erfolgen.
Die Ankündigung von Christoph Ott, mit seiner Verleihagentur Filmwelt fünf aktuelle Produktionen des Streaming-Anbieters Netflix für die deutsche Kinoauswertung anzubieten, hat in der Branche für kontroverse Diskussionen gesorgt.
Im Interview mit Moderatorin Ute Soldierer erläuterte Ott am 5. November beim Film- und Kinokongress NRW in Köln seine Sicht der Dinge. Letztlich gehe es darum, das anzubieten, was der Konsument sehen wolle. Er selbst könne sich gut vorstellen, dass sich auch Zuschauer, die über ein Netflix-Abo verfügten, die besagten Produktionen gern im Kino ansehen würden. Immerhin handele es sich um attraktive Filme wie „The Irishman“ von Martin Scorsese oder „Die zwei Päpste“ mit Anthony Hopkins in der Rolle von Benedikt XVI., kommentierte Ott. Allerdings beträgt das Fenster zwischen Kino- und Streaming-Start lediglich zwei Wochen. Die Netflix-Filme seien daher für die Kinos nur als alternativer Content mit vereinzelten Vorstellungen, ähnlich wie bei Opern, Sport oder TV-Serien, sinnvoll.
Für Theaterbetreiber, die die Auswertung ganz ablehnten, gäbe es keinerlei negative Konsequenzen in der sonstigen Zusammenarbeit zu befürchten, bekräftigte Ott, der auch als Verleihchef von NFP marketing & distribution fungiert. Insofern habe er auch die öffentliche Diskussion über das Thema nicht ganz nachvollziehen können. Aus dem Publikum gab es kritische Anmerkungen u.a. dazu, dass keine Besucherzahlen zu der Kinoauswertung veröffentlicht werden dürfen und dass sich der Verleiher auf die kurze Vorlaufzeit bis zum Streaming-Start eingelassen habe. Cineplex-Geschäftsführer Kim Ludolf Koch, der sich mit Ott über das Thema bereits in offenen Briefen auseinandergesetzt hatte, warf ihm vor, in den Verhandlungen mit Netflix „zu nett“ gewesen zu sein.
In der Wolkenburg in Köln begann am frühen Nachmittag des 5. November die neunte Ausgabe des Film- und Kinokongresses NRW, veranstaltet von der Film- und Medienstiftung NRW in Kooperation mit dem Creative Europe Desk NRW.
Nachdem Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung, die Gäste begrüßt und einen Ausblick auf die Kongressthemen gegeben hatte, stand zum Auftakt ein Impulsreferat von Christine Berg, der neuen Vorstandsvorsitzenden des HDF Kino, auf dem Programm. Sie warf dabei noch einmal einen Blick auf die schwachen Besucherzahlen im deutschen Kinojahr 2018, in dem nur etwas mehr als 100 Millionen Tickets verkauft worden waren. Aktuelle Erfolge wie „Das perfekte Geheimnis“, „Joker“ oder „Systemsprenger“ zeigten aber einmal mehr, dass das grundsätzliche Interesse der Menschen an einem Kinobesuch auch hierzulande vorhanden sei, führte Berg aus. Letztlich seien die Filme ausschlaggebend. Wichtig sei es zudem, ein möglichst breites Spektrum an Kinobesuchern anzusprechen.
In jedem Fall stünden die Kinobetreiber immer wieder vor neuen Herausforderungen. Investitionen in die Ausstattung seien notwendig, um die Lichtspielhäuser attraktiv zu halten. In diesem Zusammenhang begrüßte die HDF-Vorsitzende das Soforthilfeprogramm der Bundesregierung für Kinos im ländlichen Raum, das 2020 als „Zukunftsprogramm Kino“ mit einem Volumen von 17 Millionen Euro fortgeführt werden soll. Es dürfe aber nicht auf dieses eine Jahr und auch nicht auf Kinos in Städten mit weniger als 25.000 Einwohnern beschränkt bleiben, gab Berg zu bedenken. Zudem seien die Länder gefordert, eine Kofinanzierung im selben Umfang zur Verfügung zu stellen. Neben der Ausstattung der Kinos seien auch die digitale Kundenbindung und der Erhalt der Auswertungsfenster wichtige Zukunftsthemen für die Branche, so Berg.
Die Forderung nach Exklusivität bei der Kinoaufführung sei keineswegs veraltet. Angesichts des stetig wachsenden und unüberschaubarer werdenden Angebots an Filmen bei den Streamingdiensten, in dem sich der Nutzer zurechtfinden müsse, könne Exklusivität zum großen Vorteil für die Kinos werden.
Beim Film- und Kinokongress NRW in Köln befassten sich am 5. November gleich drei Panels mit dem Einsatz neuer Marketing-Modelle im Kinobereich.
Zunächst stellte Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Gründer und Geschäftsführer der Beratungs- und Forschungsgruppe Goldmedia, Ergebnisse einer selbst durchgeführten Pilotstudie zum Thema Dynamic Pricing vor. Er zeigte auf, wie die zum Beispiel bei Reiseanbietern und großen eCommerce-Plattformen längst etablierten flexiblen Preismodelle auch im digitalen Kino-Ticketing Anwendung finden könnten. Der optimale Preis für eine Kinovorstellung ändere sich kontinuierlich, die Besucher machten ihre Kaufentscheidung auch von Kriterien wie dem Zeitpunkt der Vorstellung und dem Wetter abhängig, führte Goldhammer aus. Die mit 250 potenziellen Kinobesuchern durchgeführte Untersuchung habe aufgezeigt, dass durch dynamische Preisanpassungen durchaus Steigerungen bei der Auslastung der Vorstellungen erzielt werden könnten.
Margarete Söhner trat anschließend in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied von Kinomarkt Deutschland auf und erläuterte die Zielsetzungen der im Mai gegründeten Genossenschaft von Kinobetreibern. Gemeinsam wolle man die Wettbewerbssituation von kleinen und mittelständischen Filmtheatern verbessern. In den deutschen Kinos blieben jährlich mehr als 750 Millionen Plätze frei und unverkauft, führte Söhner aus. Es gehe darum, dieser Entwicklung entgegenzusteuern und zum Beispiel durch digitales Marketing die Reichweite zu verbessern und mit eCommerce-Angeboten im Concessions- und Merchandise-Bereich zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen, führte Söhner aus. Für die Mitglieder von Kinomarkt Deutschland soll eine speziell auf den Kinomarkt zugeschnittene digitale Verkaufsplattform entwickelt werden, die die Kinobetreiber als White Label Shop in ihre Homepages einbinden können.
Wie die digitale Kundenbindung via Smartphone funktionieren könnte, zeigte Katja Struwe, Gesellschafterin und CEO von Trailerdata, in ihrer Präsentation auf. Das Berliner Unternehmen hat die „TrailerApp“ entwickelt, die Nutzer unmittelbar nach einem Kinobesuch noch einmal per Push-Nachricht über die gezeigten Trailer informiert und ihnen die Möglichkeit gibt, diese zu bewerten und in eine Merkliste aufzunehmen. Auch an Freunde, die die App selbst nicht nutzen, könnten via WhatsApp oder E-Mail Empfehlungen verschickt werden. Dem häufig vorgetragenen Problem, dass interessierte Besucher einen Kinofilm verpassen, den sie eigentlich gern gesehen hätte, wirke die Anwendung ebenfalls entgegen, berichtete Struwe. Die User könnten bis zu drei Kinos als Favoriten auswählen und würden benachrichtigt, sobald ein von ihnen positiv bewerteter Film dort zum Einsatz käme.
Im Umfeld des Film- und Kinokongresses NRW in Köln fanden zwei Workshops zu den Themen „Green Storytelling“ und „Green Filmmaking“ statt, die von dem Regisseur, Producer und ifs-Dozenten Philip Gassmann geleitet wurden. Beim Kongress am 5. November gab Gassmann als „Zwischenruf“ einen kurzen Einblick in die Materie. Er blickte zurück auf eine Studie der UCLA aus dem Jahr 2006, in der die Film- und TV-Industrie als zweitgrößter Umweltverschmutzer nach der Erdölindustrie ausgemacht worden sei. Seitdem habe sich in der Branche ein Bewusstsein für den Themenbereich entwickelt. Nach aktuellen Erhebungen gehe die EBU davon aus, dass zwei Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen durch Informations- und Kommunikationstechnologien verursacht würden. Eine Zunahme sei vor allem durch die wachsende Nutzung von Online-Streamingdiensten zu befürchten. Die umweltfreundlichste Art Filme zu schauen, sei folglich das Kino, erklärte Gassmann sehr zum Gefallen der anwesenden Branchenvertreter. Bei der Produktion von Filmen sei es in jedem Fall sinnvoll „grüne“ Konzepte zu verfolgen – nicht nur, weil dies gerade auch von den TV-Sendern immer häufiger verlangt werde. Vielmehr ließen sich durch eine schnelle, effiziente Produktion und den Einsatz etwa von LED-Leuchten oder Filmtrucks mit Erdgasantrieb auch erhebliche Einsparungen erzielen. Im Bereich des Storytellings müsse man darauf hinarbeiten, Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz in einem positiven Kontext und ohne erhobenen Zeigefinger oder Horrorszenarien zu erzählen, gab Gassmann zu bedenken. Das Motto laute: „Climate hell does not sell.“
Um mögliche Zukunftsstrategien für die Kino- und Filmbranche aus Sicht der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) ging es am 5. November in einem Vortrag beim Film- und Kinokongress NRW in Köln. Johannes Kagerer, politischer Referent der SPIO in Berlin, war dabei für den erkrankten Verbandspräsidenten Dr. Thomas Negele eingesprungen. Der Kinomarkt stehe u.a. angesichts steigenden Kostendrucks und hoher Investitionsrisiken vor großen Herausforderungen. Diese gingen aber nicht nur die Kinobetreiber etwas an, sondern alle Marktteilnehmer. Als Titel des Vortrags habe die SPIO bewusst „Es geht ums Ganze“ gewählt, da man stets die gesamte Branche im Blick habe. Das Geschäftsmodell Kinofilm müsse für Kinos, Verleiher und Produzenten gleichermaßen funktionieren, führte Kagerer aus. Neben allen Diskussionen um die anstehende Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) habe SPIO-Präsident Negele zuletzt betont, dass eine der entscheidenden Zukunftsfragen sei, wie die Branche auch selbst dafür sorgen könne, dass mehr Geld ins System komme. Die Mobilisierung von privaten Investitionen und die Steigerung der Publikumswirksamkeit seien zwei Lösungsansätze, zu denen die SPIO Leitlinien erarbeite, so Kagerer. Es sei auch sinnvoll, über gemeinschaftliche Modelle wie Genossenschaften nachzudenken, zum Beispiel beim Einsatz zeitgemäßer Marketing-Tools. Mit deren Hilfe könne es gelingen, Nicht-Kinogänger für das Medium zu begeistern und Nicht-Mehr-Kinogänger zurückzugewinnen.