Auch schon vor der Corona-Krise sind Streamingdienste als Konkurrenz zum linearen Fernsehen auf dem Vormarsch gewesen. Welche Auswirkungen diese Entwicklung hat und ob auch bei den klassischen TV-Anbietern bald nur noch die Devise „Online First“ gilt, besprachen drei Sendervertreter bei der Online-Ausgabe des 10. Film- und Kinokongress der Film- und Medienstiftung NRW mit Moderatorin Ute Soldierer.
Mit der Serienoffensive in der ARD-Mediathek sieht Alexander Bickel, Leiter des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie des WDR, bei dem Senderverbund auch einen allgemeinen Paradigmenwechsel im fiktionalen Bereich. Es werde nun verstärkt parallel linear und non-linear gedacht. Entscheidend sei es, gute Stoffe mit den für sie am besten geeigneten Ausspielwegen zusammenzubringen. Die Strategie, Inhalte schon vor der linearen Ausstrahlung online anzubieten habe bei großen Projekten wie „Oktoberfest 1900“ oder der dritten Staffel von „Babylon Berlin“ gut funktioniert. Aber auch exotischere Stoffe wie die Polit-Sitcom „Parlament“ könnten in der Mediathek Erfolge verbuchen, die nur mit einer klassischen TV-Auswertung eher nicht zu erreichen seien, führte Bickel aus. Es gehe aber grundsätzlich eher um „Online First“, nicht um „Online Only“. Mit seiner sogenannten Serien-Challenge, bei der das Publikum darüber abstimmen konnte, welcher der beiden Piloten „Saubere Sache“ und „Muspilli“ fortgeführt wird, hat der WDR Online-Neuland betreten. Die Resonanz sei insgesamt zufriedenstellend gewesen, so Bickel. Aktionen dieser Art seien wichtig, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, das über das lineare Fernsehen eher nicht mehr zu erreichen sei.
Als Kernzielgruppe für die ARD-Mediathek habe man die 30- bis 49-Jährigen im Blick, erklärte Florian Hager, der zuständige Channel Manager und stellvertretende Programmgeschäftsführer Das Erste. Die Online-Plattform solle zwar gestärkt werden, es sei aber dennoch keineswegs das Ziel, das lineare Programm abzuschaffen. Vielmehr gehe es darum, eine sinnvolle Verbindung zwischen non-linearem und linearem Angebot der ARD herbeizuführen. Aus seiner vorherigen Tätigkeit für das junge Content-Netzwerk der Öffentlich-Rechtlichen, funk, habe er mitgenommen, dass man nicht in Sendeplätzen denken sollte, sondern eher in Zielgruppen. Für jedes Programm müsse man entscheiden, welches Publikum sich damit auf welchem Weg am besten erreichen lasse, betonte Hager. Auf diese Überlegung sei zum Beispiel auch die non-lineare Vorabauswertung von „Babylon Berlin“ oder „Oktoberfest 1900“ zurückzuführen. Für die Zukunft gehe es darum, den technologischen Rückstand gegenüber Streamingdiensten wie Netflix und Amazon aufzuholen und zudem den deutschen Produzenten deutlich zu machen, dass die ARD für sie ein besserer Ansprechpartner sei als diese internationalen Anbieter.
Aus Sicht der Mediengruppe RTL Deutschland erläuterte Henning Tewes, COO Programme Affairs & Multichannel sowie Co-Geschäftsleiter von TVNOW, die Strategie im Bereich der non-linearen Auswertung. Fiktionale Inhalte seien wichtig, um einem Streamingdienst wie TVNOW eine eigene Identität zu geben, betonte er. Als Beispiel nannte er aktuelle Formate wie „Verbotene Liebe – Next Generation“, „Sunny – Wer bist du wirklich?“ und die mit Iris Berben, Heiner Lauterbach und Walter Sittler prominent besetzte Comedy-Serie „Unter Freunden stirbt man nicht“. Grundsätzlich gingen bei der Mediengruppe RTL „Streaming und Broadcasting Hand in Hand“, so Tewes. Beide Bereiche seien gleichermaßen bedeutend. Es gehe zunächst einmal darum, Stoffe zu finden, die aus der Mitte der Gesellschaft kämen und für ein breites Publikum attraktiv seien. Dann werde entschieden, welche Auswertungsfenster am besten zum jeweiligen Programm passten. Eine nahezu parallele Auswertung im linearen und non-linearen Bereich habe sich in manchen Fällen gut bewährt. Dies gelte aber auch für die nachgelagerte Auswertung im klassischen TV-Programm, berichtete Tewes. So sei etwa die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Gay-Dating-Show „Prince Charming“ nach ihrer Einführung auf TVNOW später auch noch erfolgreich bei Vox ausgestrahlt worden.