Der 6. NRW-Dokutag wurde am Morgen des 4. Mai 2022 in der Kölner Wolkenburg eröffnet. In ihrer Begrüßungsrede hob Petra Müller, Geschäftsführerin der ausrichtenden Film- und Medienstiftung NRW, die herausragende Rolle des Bundeslandes als Dokumentarfilmstandort hervor. Allein in den vergangenen drei Jahren seien Filme dieses Genres mit 5,76 Millionen Euro gefördert worden. Durch die erhöhte Nachfrage nach Stoffen für Mediatheken und neue Plattformen sei der Markt für Dokumentationen stark in Bewegung, führte Müller aus. Auch mehrere große deutsche Produktionsfirmen hätten mit der Gründung neuer Doku-Departments die wachsende Bedeutung dieses Bereichs unterstrichen.
Einige dieser Aspekte wurden anschließend von Arne Birkenstock, Geschäftsführer der Kölner Produktionsfirma Fruitmarket und Vorstandsmitglied der Deutschen Filmakademie, in einem Vortrag ausführlicher thematisiert. Der Dokumentarfilm sei zwischenzeitlich belächelt worden, weil er durch umständliche und nicht mehr zeitgemäße Auswertungsregularien ein Schattendasein in den Nachmittagsprogrammen der Kinos und später in den Spätschienen der TV-Sender geführt habe. Spätestens die zahlreichen Erfolge auf Netflix hätten gezeigt, dass Dokumentationen besser in der non-linearen Auswertung funktionierten, erklärte Birkenstock.
Wichtig sei es aber, dass im neuen Marktumfeld nicht nur noch vereinzelte Genres wie etwa True Crime berücksichtigt würden. Auch der künstlerische Dokumentarfilm müsse nach wie vor eine Chance haben, betonte der Produzent.
Diese Ansicht bekräftigte auch Susanne Binninger, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), im folgenden Gespräch mit Birkenstock. Die Streamer hätten den Markt extrem aufgemischt, neue Formate und Erzählweisen seien gefragt. Es müsse aber die Frage gestellt werden, ob durch die Vorgaben der neuen Partner nicht die klassischen Qualitäten des Autor:innen-Dokumentarfilms in den Hintergrund rückten. Es müsse nach wie vor möglich sein, sich mit Projekten auf eine inhaltliche Reise zu begeben und sich auch entsprechend Zeit für deren Entwicklung zu nehmen.
Brigid O’Shea, Mitgründerin der Documentary Association of Europe (DAE) und frühere
Leiterin von DOK Industry, der Branchenplattform des Festivals DOK Leipzig, nahm ebenfalls an dem Eröffnungstalk beim NRW-Dokutag teil. Sie betonte die hohe Bedeutung von europäischer Zusammenarbeit im Dokumentarfilm-Bereich. Angesichts der dynamischen Entwicklung im Markt dürfte die Vielfalt nicht gefährdet werden. Es gehe darum, die Rolle der unabhängigen Produzenten neu zu definieren und sie als wichtige Säule der Branche zu erhalten. Auch der Dokumentarfilm-Nachwuchs müsse entsprechend gefördert werden. Dem pflichtete Binninger bei. Sie regte auch an, die veränderten Marktbedingungen konkreter in der Lehre zu berücksichtigen. Derzeit gebe es einen regelrechten Run auf wenige Talente, die bereits Erfahrungen mit den Formaten neuen Zuschnitts gesammelt hätten.